Ein neuer Mutterfragebogen: Mareice, eine Autorin und Mutter von zwei Mädchen, die in Berlin lebt und das Blog Kaiserinnenreich schreibt.
Name: Mareice
Alter: 32 Jahre
Mutter von: zwei Mädchen (3 und 1,5 Jahre alt)
Stadt: Berlin (Hamburg im Herzen)
Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert?
Mittlerweile: gut. Bis hierhin war es ein langer, nervenzehrender Weg. Meine heute dreijährige Tochter kam mit einem seltenen Chromosomenfehler und dadurch mehrfach behindert zur Welt. Ihre ersten Lebensmonate verbrachten mein Mann und ich mit ihr in diversen Krankenhäusern, das Babybett zu Hause blieb lange Zeit leer. Dann haben wir erstmal alles selbst gemacht, Intensivpflege rund um die Uhr. Bis wir nicht mehr konnten. Es hat uns viel Zeit und Kraft gekostet, eine Infrastruktur rund um sie und uns herum aufzubauen, die es zulässt, dass wir Eltern ein klitzekleines bisschen Freizeit haben und/oder arbeiten können. Mittlerweile funktioniert das ganz gut – allerdings immer nur, solange unsere Tochter gesundheitlich stabil ist. Ein Pflegedienst betreut sie in der Nacht und eine Krankenschwester begleitet sie tagsüber in die Kita. Das bedeutet, dass nachts immer jemand an ihrem Bett sitzt. Während sie schläft, wird der Sauerstoffgehalt in ihrem Blut von einem Monitor überwacht und wenn der piepst, benötigt sie zusätzlichen Sauerstoff. Das übernehmen dann die Krankenschwestern – nachts zu Hause und tagsüber in der Kita. So können wir nach zwei Jahren ohne Tag-Nacht-Rhythmus endlich wieder schlafen. Allerdings hat die Krankenkasse die Kostenübernahme für den Pflegedienst noch nicht bewilligt. Solche Stolpersteine sind belastender als alle Behinderungen meiner Tochter zusammen.
Die Betreuung unserer kleinen Tochter zu organisieren war im Vergleich dazu ein Kinderspiel. Sie geht seit ihrem ersten Geburtstag in die gleiche Kita wie ihre große Schwester, hat eine blitzschnelle Eingewöhnung hingelegt und freut sich jeden Tag, wenn es zusammen mit ihrer Schwester losgeht zur Kita – genauso freut sie sich, wenn wir sie nachmittags wieder abholen. Zusätzlich haben wir eine Einzelfallhelferin für unsere große Tochter, die mittlerweile seit einem Jahr mindestens einen Nachmittag pro Woche mit ihr verbringt. Sie ist uns allen sehr ans Herz gewachsen und schafft Flexibilität für meine Arbeit, da sie manchmal auch mit beiden Mädchen spielt. Sie ist zu einem Teil der Familie geworden.
Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Vor meinen Kindern habe ich als Redakteurin hauptsächlich für Werbeagenturen gearbeitet. Nach meiner langen Elternzeit, die aus der Pflegebedürftigkeit meiner ersten Tochter resultierte, versuche ich gerade wieder beruflich Fuß zu fassen. Erster Schritt zurück ins Berufsleben ist mein Blog Kaiserinnenreich, auf dem ich seit etwa einem halben Jahr über unser inklusives Familienleben und dadurch verbundene gesellschaftspolitische Stolpersteine schreibe. Durch das Bloggen bin ich wieder zum Schreiben gekommen – die vergangenen Jahre drehte sich ja alles um Kinder, Kacke und Krankenhäuser. Ich bin dankbar über die Schreib-Routine, die sich ganz langsam wieder einstellt. Über mein Blog haben sich schon tolle Möglichkeiten ergeben, so wurde ich bereits zu Diskussionsrunden zum Thema Inklusion eingeladen, schrieb Artikel für diverse Publikationen, arbeite zur Zeit an einem Workshop für Jugendliche und bekomme auch einfach so zwischendurch positives Feedback von Leserinnen und Lesern. Nach der langen abgeschotteten Familienzeit, in der es oft nur um Krankheiten, Defizite und Bürokratie ging, tut das unheimlich gut. Es fühlt sich an, wie von einer Reise zurückzukehren – einer Reise ins All oder so. Finanzieren kann ich mich im Moment aber leider noch nicht allein durch das Schreiben, daher versuche ich mich zur Zeit auch in der Akquise für redaktionelle Jobs in unterschiedlichen sinnhaften Bereichen. Leider habe ich es als zweifache Mutter nicht mehr so leicht wie früher als kinderlose Frau, zu Vorstellungsgesprächen eingeladen zu werden. Das ist ziemlich ernüchternd, zumal ich durch meine Kinder so viele Kompetenzen dazu gewonnen habe. Dank der Kita-Betreuung habe ich täglich von 9.30 bis 15.30 Uhr Freiraum, mich dem journalistischen Schreiben zu widmen. Ich genieße diese Zeit sehr und bin vor allem meiner großen Tochter dankbar, dass ihr Gesundheitszustand es nun schon seit Wochen zulässt, dass sie glückliche Tage mit den anderen Kindern gut betreut verbringen kann. Arbeit fühlt sich für mich wie Wellness an.
Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben?
Reicht sie dir?
Jenseits der beruflichen und familiären Aufgaben hatte ich in den vergangenen 1,5 Jahren einen einzigen Abend für mich. Ich habe ihn genutzt, um mit meinem Mann zu einem Konzert zu gehen. Das war herrlich – hat uns aber auch vor Augen geführt, wie verrückt es ist, dass so ein Abend so eine außerordentliche Ausnahme für uns ist. Zum besseren Verständnis: Vor unseren Kindern waren wir beide äußerst aktive Kulturschaffende. Wir produzierten gemeinsam eine Radiosendung, machten in Bands Musik, besuchten Ausstellungen von Freunden und waren eigentlich immer kreativ und produktiv unterwegs. Mit der Geburt unserer behinderten Tochter fiel diese Seite unserer Persönlichkeiten komplett unter den Tisch. Wir sind gerade dabei, uns diese kleinen – und für uns lebenswichtigen – Freiheiten peu à peu zurückzuerobern.
Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei dir aus?
Um sieben Uhr schreibe ich der Krankenschwester, die meine große Tochter in der Nacht betreut hat, eine Nachricht bei WhatsApp: „Alles okay?“. Im besten Fall war es das und ich höre, wie sie kurze Zeit später die Wohnung verlässt. Dann haben wir eine Stunde Familienzeit, bis die Krankenschwester, die meine große Tochter in die Kita begleitet, kommt. Zwischen neun und halb zehn sitze ich in einem Journalistenbüro und arbeite – dabei geht leider noch immer viel Zeit für die Bürokratie rund um meine große Tochter drauf. Um halb vier hole ich im Wechsel mit meinem Mann und der Einzelfallhelferin die Kinder von der Kita ab. Spielplatz, Logopädie oder Physiotherapie für die große Tochter, Verabredungen mit anderen Familien, Einkäufe. Und immer sehr, sehr viel: Wäsche waschen, Wäsche aufhängen, Wäsche einräumen. Ganz wichtig ist uns das gemeinsame Abendessen um 18 Uhr, da sind wir echte Spießer. Vor allem, seitdem wir festgestellt haben, wie wichtig diese feste Zeit für unsere kleine Tochter ist. Halten wir uns an diesen Plan, schläft sie verlässlich gegen 19.30 Uhr ein. Wenn sie schläft, genieße ich die Zeit mit meiner großen Tochter, bis der Nachtdienst um 21 Uhr kommt. Meistens bin ich dann auch schon so müde, dass ich selbst ins Bett falle...
Was empfindest du als besonders anstrengend?
Die Beurteilungen von außen. Mir kommt es vor, als würde alles, was Eltern mit ihren Kindern machen, erstmal von einer Gesellschaftspolizei bewertet werden. Das fängt beim Stillen/Nicht-Stillen an und hört beim Essverhalten der Kinder auf – na ja, also ehrlich gesagt hört es gar nicht auf. Ich wünsche mir, dass meine Kinder einfach so gelassen werden können, wie sie sind. Außerdem empfinde ich die Bürokratie rund um meine behinderte Tochter als kräfteraubend und vor allem: unnötig. Die Streitigkeiten mit der Krankenkasse um Hilfsmittel empfinde ich als echtes Armutszeugnis für die Gesellschaft, in der wir leben. Warum beeinträchtigte Menschen so sehr um Unterstützung kämpfen müssen, werde ich nie verstehen.
Was macht dich besonders glücklich?
Geistige Entwicklung und (Weiter-)Bildung. Wenn ich singe und meine kleine Tochter dazu tanzt. Dass meine große Tochter seit der letzten Operation von alleine Stuhlgang haben kann und Schmerzen nicht mehr zu ihrem Alltag gehören. Dass das Krankenhaus eine immer kleiner werdende Rolle in unserem Familienleben einnimmt. Wertschätzung meiner Arbeit.
Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser werden?
Puh, nein, das Gefühl habe ich ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Verbessern müsste sich eine Grundeinstellung der Gesellschaft. Wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin, habe ich oft den Eindruck, dass die Menschen, denen wir begegnen, vergessen haben, dass sie auch mal Kinder waren. Uns begegnen mehr mürrische als freundliche Gesichter. Das finde ich schade. Wenn das Kind in uns allen präsenter wäre, wären auch Politik und damit die Gesellschaft kinderfreundlicher. Ähnlich ist es, was die Unterstützung von Menschen mit Behinderung angeht. Bei Kämpfen mit der Krankenkasse habe ich schon oft gedacht, dass die Sachbearbeiter/innen dort mal meine Tochter kennenlernen sollten. Dann würden sie nicht so viele bescheuerte Entscheidungen treffen, die uns als Familie und vor allem meiner Tochter das Leben erschweren. Ein Punkt, bei dem ich mir von der Inklusionsdebatte einiges erhoffe, ist die Barrierefreiheit. Wer sich mit dem Kinderwagen durch die Welt bewegt, bekommt eine klitzekleine Ahnung davon, was es heißt, mit einem Rollstuhl unterwegs zu sein.
Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest?
Wie sehr ich mich auf meine Sinne verlassen kann. Wie effektiv und fokussiert ich arbeiten kann. Wie nah Leben und Tod beieinander liegen. Wie sich bedingungslose Liebe anfühlt. Dass es kein Recht auf ein gesundes Kind gibt. Dass mein Perfektionismus unnötiger Quatsch ist. Dass ich gut bin, wie ich bin. Dass einfach SEIN lebenswert ist. Das hat mir meine taubblinde Tochter gezeigt und ich bewundere sie für alles, was sie ist und ausstrahlt.
Du hast 48 Stunden kinderfrei. Was tust du?
Die Möglichkeit ist für mich – noch – zu weit weg, als dass ich es wirklich wüsste. Schön wäre eine kleine Reise. Oder Shopping (allerdings nur mit Geld in der Tasche und unter der Bedingung, keine Kinderläden zu betreten – denn dort landen wir Mamas ja meist zwangsläufig). Kaffeetrinken mit einer Freundin, ein gutes Gespräch oder noch besser: Wodka Lemon. Ausgehen, tanzen, wenn die Vögel zwitschern ins Bett fallen, ausschlafen, langes Frühstück, wieder ins Bett gehen. Lesen. Schreiben. Küssen.
Ein Gegenstand Deiner Kinder, den du ewig aufbewahren wirst?
Die Bilder von ihnen in meinem Kopf. Den großen Schmerz, als ich meine erste Tochter nicht bei mir haben konnte direkt nach ihrer Geburt. Das große Glück, meine zweite Tochter nach ihrer Geburt stundenlang nicht loslassen zu müssen, ihr Geruch. Nicht ewig, aber lange: Die erste selbstständig vollgekackte Windel meiner ersten Tochter. Klingt eklig, war für uns alle aber ein Befreiungsschlag.
Ein Gegenstand, der Dich an Deine Kindheit erinnert?
Leider gibt es nur ein unvollständig geführtes Fotoalbum von mir als Kind. Das bedauere ich sehr. Ich wünsche mir, dass ich das für meine Töchter anders machen kann und fotografiere fleißig, habe schon hübsche Alben in der Schublade und bin gerade dabei, Ordnung in das digitale Chaos zu bringen. Die ersten ausgedruckten Bilder liegen auch schon bereit... Jetzt weiß ich also doch, wozu ich die 48 Stunden kinderfrei nutze: Zum Erstellen von Fotoalben meiner Töchter. Ha!
Was würdest du einer Frau sagen, die sich fragt, ob sie Mutter werden soll?
Ich empfehle ihr den Text "Willkommen in der Bastelmuttihölle" von der großartigen Bloggerin Das Nuf zu lesen.
Hier ist noch ein sehr lesenwerter Text von Mareice über die Suche nach einem Kitaplatz für ihre erste Tochter aus der taz. Und auf ihrem Blog Kaiserinnenreich startet sie in den nächsten Tagen auch ihre eigene Version des Mutterfragebogens.
Schönes Wochenende. Und danke, liebe Mareice.
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