Und dann sitzt er auf dem Balkon des Hauses, in dem gleich seine erste Show für Dior stattfinden wird, und sein Kinn beginnt zu zittern, „now it´s coming”. Unten fahren die Stars in großen Autos vor, oben sitzt Raf Simons und weint. Vor Anspannung, vor Nervosität, vor Angst, vor Freude, es ist schwer zu sagen, aber gut zu verstehen, wenn man weiß, dass er in den letzten zwei Monaten seine erste Haute-Couture-Kollektion für Dior entworfen hat. Hinter ihm und seinem Team liegen acht Wochen harter Arbeit, Schlaflosigkeit, Aufregung, Ernüchterung, Freude. „Dior und ich” von Regisseur Frédéric Tcheng erzählt von diesen Wochen. Erzählt davon, wie Raf Simons sich in ein Gemälde von Sterling Ruby verliebt und es zu Stoff machen will, obwohl die Stoffhersteller das schlicht für unmöglich halten. Erzählt davon, wie Simons einen weißen Blazer nun doch lieber in Schwarz sehen möchte (und was sein hinreißender Studio-Leiter Pieter Mulier tut, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen). Erzählt, wie Raf Simons versucht, seiner Vorstellung von Modernität zu folgen, ohne die Tradition dieses großen Modehauses zu verraten. Der Film zeigt aber nicht nur Raf Simons, sondern auch sein Team: Seine rechte Hand Pieter Mulier, die Leiterinnen des Ateliers und die Schneiderinnen, die dort teilweise schon seit mehr als 40 Jahren arbeiten. „Dior und ich” zeigt, wie viel Liebe und Arbeit, Nerven und Handwerk, Wissen und Präzision in einem einzigen Haute-Couture-Kleid stecken (und wie schwer es den Schneiderinnen am Ende fällt, die Kleider, an denen sie Wochen gearbeitet haben, dann – über den Runway – gehen zu lassen). Vor allem aber zeigt er, was möglich werden kann, wenn man seinen eigenen Ideen und Instinkten vertraut und folgt. „I have an idea, but it´s very extreme”, sagt Raf Simons nachdem er sich das Haus in Paris angesehen hat, in dem seine erste Show stattfinden soll. Er möchte die Räume mit Blumen dekorieren, von oben bis unten, die ganzen Wände, alle Räume, und jeden mit einer anderen Blume. Am Ende verwandelt sich dieses Pariser Haus tatsächlich in ein einziges Blütenmeer. Und ich hab mir eine Träne weggewischt. Vielleicht waren es auch zwei.
„Dior und ich” von Frédéric Tcheng, mit Raf Simons, Pieter Mulier, Anna Wintour, Marion Cotillard und Jennifer Lawrence, ab heute im Kino. Hier ist die Website zum Film, hier ein Interview mit dem Regisseur und hier eine Geschichte über Pieter Mulier.
Und dann diese Food-Doku-Serie auf Netflix: „Chef´s Table”. Ich weiß nicht, wann mich eine Fernsehserie zuletzt so umgehauen hat. Mich so hat staunen lassen. Das Prinzip dieser Serie ist einfach: In jeder Folge wird ein berühmter Koch vorgestellt. Der italienische Koch Massimo Bottura etwa, der 1995 ein Restaurant in Modena eröffnete und beschloss, sich eine moderne italienische Küche auszudenken, die zwar auf der klassischen Kochkunst Modenas basiert, sie aber radikal modernisiert – eine Idee, die seine Gäste zunächst empörte. „Können sie sich vorstellen, was die Einheimischen über uns dachten?” fragt Bottura und erzählt, wie er ihnen Tortellini nicht in großen Schüsseln servierte, sondern auf einem Teller, nur sechs Stück, in einer Linie, die in die Brühe hineinwandert. „Sie wünschten uns die Pest an den Hals. Du darfst Großmutters Rezept nicht beschmutzen”. Heute gehört die Osteria Francescana zu den besten Restaurants der Welt und hat drei Michelin-Sterne, aber „Chef´s Table” erzählt gar nicht so sehr von diesem Erfolg, sondern von Botturas Weg dorthin, von seinem Nicht-Aufgeben gegen alle Widerstände, seinem Trotz, auch seiner Wut und Enttäuschung. Oder Magnus Nilsson, der im schwedischen Järpen weit entfernt von jeder Großstadt ein Restaurant führt, in dem er mit regionalen Produkten eine moderne, nordische Küche kocht – was schon deshalb eine riesige Herausforderung ist, weil es von Oktober bis April gar keine frischen Produkte in der Region gibt und Nilsson die Jahreszeiten überlisten muss, indem er die regionalen Zutaten konserviert. Auch diese Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte – die Menschen reisen von überall her an, um einen der zwölf Plätze im Fäviken zu ergattern – erzählt wird aber der Weg dorthin. Wie Nilsson das Kochen aus Frustration schon ganz aufgegeben hatte. Wie er durch den Norden reiste, um alte Gerichte und ihre Zubereitungsweisen zu lernen. Und wie er nun endlich das Gefühl hat, irgendwo angekommen zu sein, in seiner Heimat, der er früher so unbedingt entfliehen wollte.
Habt ihr in letzter Zeit auch Entdeckungen gemacht? Oder schon „Chef´s Table” gesehen?
Chef´s Table von Clay Jeter, Brian McGinn, Andrew Fried und David Gelb mit Dan Barber, Massimo Bottura, Francis Mallmann, Niki Nakayama, Magnus Nilsson und Ben Shewry, auf Netflix anzusehen.
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