KNICKBÜCHER UND DAS AUERHAUS


Das Beste an einer kranken Woche im Bett: Ich habe endlich wieder gelesen. Und was für ein Buch. Meine Schwester wird den Kopf schütteln, wenn sie sieht, was ich mit „Auerhaus” gemacht habe, sie liebt Bücher und würde eine Seite niemals knicken. Bei mir ist das anders, wenn ich Bücher mag, sieht man ihnen das an, und Bov Bjergs Buch ist ein Knickbuch. Voller Momente, Gedanken und Sätze, die ich mir aufheben möchte.

Frieder sagte: „Du hast die Augen zu und treibst auf deiner Luftmatratze, ein sanfter Wind weht, und du denkst, geil, jetzt lebe ich für den Rest meines Lebens hier in dieser Lagune, in der Südsee. Und dann machst du die Augen auf und merkst, es ist bloß ein Nachmittag am Baggersee, und zack ist der auch schon vorbei.”

Erzählt wird die Geschichte von sechs Freunden, die gemeinsam ins Auerhaus ziehen, das Auerhaus heißt, weil sie beim Auspacken ein Mixtape finden und „Our House” von Madness hören, der Bauer von gegenüber aber kein Englisch kann und Auerhaus versteht. Danach hat das Haus, das früher mal Frieders Großvater gehörte, einen Namen. Im Jahr vorm Abi zieht Höppner dort zusammen mit Frieder ein, weil Frieder sich umbringen wollte. Und mit Vera, weil Höppner mit Frieder und der Verantwortung nicht alleine sein will. Und mit Cäcilia, weil Vera nicht das einzige Mädchen sein will. Und mit Elektrikerlehrling Harry, den niemand eingeladen hat, dem sein Vater aber ein blaues Auge geschlagen hat, nachdem er ihm gesagt hat, dass er schwul ist. Und mit Pauline, einer Brandstifterin, die Frieder aus der Psychiatrie kennt. Sie feiern eine Silvesterparty. Sie reden. Sie klauen Cremetrüffel aus dem Kaufhof. Sie trinken viel Wein. Sie reden noch mehr.

Seltsam waren die anderen in der Klasse. Die, für die alles weiterging wie immer. Hätte man sie vor einer Klausur gefragt: „Wozu lebst du eigentlich?”, hätten sie geantwortet: „Das kommt nicht dran, das müssen wir nicht wissen.”

Höppners Jahr vorm Abi hat nicht furchtbar viel mit meinem gemein und doch so vieles. Dieses unfassbare Gefühl der Freiheit, wenn noch alles vor einem liegt und man sich ausdenken kann, was für ein Leben man führen will. Bis einem auffällt, dass man eigentlich bloß weiß, was für ein Leben man nicht führen will. Die Bockigkeit nichts Bestimmtem und allem Möglichen gegenüber, den Plänen der Eltern zum Beispiel. Die Traurigkeit, die über so vielem liegt. Und innerhalb von zwei Wimpernschlägen in Übermut umschlagen kann, in eine Freude, die nicht nachdenkt. Die Intensität, die alles hat, krass lieben, krass liebeskummern, krass feiern, krass wütend sein, krass mutig, krass einsam, krass durcheinander. Und das allerkrasseste von allen krassen Gefühlen: endlich Menschen zu finden, die einen wirklich verstehen.

„Frieder sagte: Meine Eltern sind stolz darauf, dass ich aufs Gymnasium gehe. Und wenn ich mal zum Mond fliege, sind sie auch darauf stolz. Aber sie werden es nicht verstehen.”
„Was?”
„Wie sich die Schwerelosigkeit anfühlt. Wie die Welt von oben aussieht.”

Noch so eine Stelle.

Bov Bjerg: „Auerhaus”, 240 Seiten, Blumenbar, 18 Euro. Es gibt übrigens auch eine „Our House (The Auerhaus Version)” von Robert Stadlober und Andreas Spechtl, hier anzuhören. Habt einen schönen Abend!
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