Name: Tanja
Alter: 45
Mutter von: Luca (12), Finn (9) und Lina (4)
Stadt: Eine größere Kreisstadt in der Nähe von Stuttgart
Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert?
Das hat sich im Laufe der Jahre sehr verbessert. Wir leben jetzt in einer größeren Stadt, die sehr viel an Kinderbetreuung anbietet. Vor unserem Umzug war es viel schwieriger. In dem Dorf, in dem wir gelebt haben, gab es keine verlängerten Öffnungszeiten, keine Kleinkindbetreuung, und meine Eltern haben noch gearbeitet. Jetzt ist die Kinderbetreuung bei uns viel über die Schule und den Kindergarten organisiert. Meine Kinder sind an zwei bis drei Tagen bis 16 oder 17 Uhr in der Schule und im Kindergarten betreut. Ein Tag übernimmt meine Mutter nach der Schule die Kinder, was sehr gut klappt, da meine Eltern oft auch spontan einspringen können, wenn sich zu viele Termine überschneiden – seit anderthalb Jahren wohnen sie in derselben Stadt. Dann gibt es noch ein Netzwerk aus drei tollen Babysitterinnen und lieben Freundinnen, die mich unterstützen.
Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Auch das hat sich sehr verändert, seit ich mit den Kindern alleine lebe und seit meiner Erkrankung – ich hatte 2007 einen Schlaganfall. Und das ohne Vorwarnung, einfach so, von jetzt auf sofort. Ich war immer gesund, fröhlich und ein Sonnenschein, hatte mich vor meinem Schlaganfall aber einfach sehr verausgabt. Job, zwei kleine wilde Jungs (Lina war damals noch nicht auf der Welt), ein Mann im Studium, dann lange ohne Job, eine Hausrenovierung. Über lange Zeit fühlte sich das Leben einfach nicht mehr leicht an. Ich dachte, irgendwann wird es besser, wird es besser, wird es besser. Aber nichts wurde besser. Ich wurde sehr krank und bekam einen Schlaganfall mit Hirnblutung. Verlor meine Sprache, konnte nicht mehr schreiben und hatte nur noch Angst. Solch eine Angst, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Fürchterliche Angst zu sterben oder für immer behindert zu sein. Und das Gefühl, sich nicht mehr artikulieren zu können, werde ich nie vergessen. Das Allerschlimmste war diese unbändige Sorge um meine beiden Jungs. Dieses Gefühl, wie sehr man an seinem Leben hängt, ist unbeschreiblich. Ich bin dem lieben Gott jeden Tag sehr, sehr dankbar, wie gut es mir wieder geht. In der Klinik sagte ein Arzt Worte zu mir, die ich nie vergessen werde: „ Sie haben eine gelbe Karte bekommen. Ändern sie ihr Leben.“ Er hatte Recht. Ich versuchte, mein Leben zu ändern – nicht sofort, aber nach und nach. Das war nicht immer einfach, rückblickend aber sicherlich das Beste. Ich bin auch überzeugt, dass alles im Leben seinen Sinn hat. Und sich immer eine neue Chance bietet.
Natürlich musste ich aufgrund meiner Erkrankung meine feste Anstellung als Leiterin eines Kindergartens aufgeben und alles neu organisieren. Heute arbeite ich freiberuflich als Dekorateurin und Stylistin, biete Kinderkurse an und bin Bloggerin. Das hat den Vorteil, dass ich relativ flexibel bin und etwas mehr Zeit für die Kinder und meine Gesundheit habe. Wobei ich, wenn ich ehrlich bin, natürlich meine Kollegen vermisse, den Austausch und die Anerkennung durch den Job. Daher habe ich ab Juli eine neue Herausforderung: Ich beginne in einer tollen Mode-Boutique, darauf freue ich mich sehr.
Wie viel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? Reicht sie dir?
Das wechselt sehr. Es gibt Momente, in denen alles auf mich einstürzt und alle gleichzeitig etwas von mir wollen und an mir zerren. Da steht mir mein Perfektionismus auch oft im Weg. Aber auch daraus habe ich etwas gelernt und verschaffe mir bewusst Ruhepunkte und Glücksmomente.
Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei dir aus?
Die Jungs und ich stehen so um 6 Uhr auf. Wenn wir Glück haben und leise genug sind, schläft Lina weiter. Dann Frühstück und Vesper machen. Wenn die Großen um 6:45 Uhr Richtung Schule gehen, hüpfe ich in die Dusche und mache mich fertig. Dann bringe ich die Kleine zum Kindergarten und arbeite je nach Kinderbetreuung bis 13/14 beziehungsweise 16/17 Uhr. Bereite das Mittagessen vor, mache was im Haushalt oder Garten, beaufsichtige Hausaufgaben oder unterstütze das Lernen der Kinder. Fahrdienste zu den Freizeitaktivitäten der Kinder. Wenn es irgendwie geht, gemeinsames Abendessen. Dann gehen die Kleinen ins Bett. Der Große darf noch etwas aufbleiben. Und wenn im Haus dann so langsam eine himmlische Ruhe einkehrt, entspanne ich oft mit einem guten Glas Rotwein, oder der Babysitter kommt und ich genieße einen freien Abend.
Was empfindest du als besonders anstrengend?
Diese Frage hat mich sehr lange beschäftigt. Und sie ist auch nicht so ganz einfach zu beantworten. Ich bin – oder sagen wir: war schon immer – ein sehr fröhlicher und positiver Mensch. Und im Großen und Ganzen bin ich das auch heute noch. Aber ab und zu und oft auch mit großer Wucht überfällt mich eine riesengroße Angst. Angst davor, dass ich das alles nicht schaffe. Angst davor, die Dinge, welche die Kinder oder mich betreffen, oft fast alleine zu bewältigen oder noch schlimmer: Entscheidungen zu treffen, so ganz allein. Und ein wenig, wenn ich ganz ehrlich bin, auch die Angst, wieder zu erkranken. Aber es gibt viele Menschen, die uns zur Seite stehen und auch jederzeit ein offenes Ohr für uns haben, die bei Entscheidungen für uns da sind und uns unterstützen. Das erleichtert alles und macht sehr, sehr glücklich.
Was macht dich besonders glücklich?
Harmonische und entspannte Momente mit den liebsten Menschen an meiner Seite. Wenn ich ihre Liebe, Freundschaft und eine tiefe Verbundenheit spüre. Morgens der erste Cappuccino, Tage am Meer, Kinderlachen, Sonne, Wärme, schöne Dinge, tanzen, feiern, viel lachen, Freundschaften, roter Lippenstift, Musik, die mein Herz hüpfen lässt...
Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser oder anders werden?
Oh je, sehr schwierig. Ich bin sehr froh, in dieser Gesellschaft zu leben. Aber da gibt es natürlich schon einige Dinge, die mir nicht gefallen: Die schlechte Lobby und Bezahlung von Erzieherinnen. Wenn sich da etwas ändern würde, würde es den Kindern auf jeden Fall zugutekommen. Und die oftmals recht schlechte Unterstützung von Alleinerziehenden.
Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest?
In dem Moment, als ich mein erstes Kind in den Armen hielt, fühlte ich mich sehr stark und stolz und dachte ganz spontan: „Jetzt kenne ich den Sinn des Lebens”. Hört sich vielleicht pathetisch an, aber ich empfand genau so. Man stellt sich selbst hinten an und liebt bedingungslos. Aber auch ich kenne die unbändige Hilflosigkeit, Wut und Ohnmacht, die Kinder so mit sich bringen. Wenn es mal wieder so weit ist, finde ich es ganz wichtig, sich als Frau und Mensch Auszeiten zu nehmen. Kraft zu schöpfen, indem man sich etwas Gutes gönnt. Viele schöne Ding für sich selbst zu tun, um wieder mit viel Kraft, Liebe und Ausgeglichenheit für die Kinder da sein zu können.
Du hast 48 Stunden kinderfrei. Was tust du?
Oh, wie herrlich. Ich schnappe mir einen lieben Menschen, fahre in eine schöne Stadt, am liebsten ans Meer (wobei: das ist in 48 Stunden wahrscheinlich zu kurz ). Schlafe aus, setze mich ins Café, gehe shoppen, mache Wellness, lass mich treiben. Ohne Termindruck und Stress. Gehe schön Essen und lass es mir einfach gut gehen.
Drei Lieblinge: Ein Buch, ein Film, ein Blog?
„Weit weg und ganz nah” von Jojo Moyes. Ist vielleicht nicht ihr bestes Buch, aber ich war beim Lesen sehr bewegt, da es meine eigene Lebenssituation sehr treffend beschrieb. Oh Happy Day, einer meiner absoluten Lieblingsblogs. Wahnsinn, mit wie viel Stilbewusstsein und Kreativität Jordan ihren Blog betreibt. Und: „Boyhood”, ein wunderschöner, berührender Film, den man mit seiner besten Freundin anschauen sollte.
Vielen herzlichen Dank, liebe Tanja. Alle anderen Mütterfragebögen sind hier nachzulesen.
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